Vom Sinn der Lebenskreuze

■ Vor einigen Jahren hatte ich mal eine Gelegenheit, einen bestimmten amerikanischen Film zu sehen, dessen Geschichte von einer Familie handelte. Ein jedes erwachsene Familienmitglied hatte da nämlich irgendwelche Schwierigkeiten im Leben und Probleme, die ihnen wie auch immer zu schaffen machten.
Dann aber geschah, dass der betreffende Familienvater entweder ein gläubiges Mitglied einer (offensichtlich freikirchlichen oder pfingstlerischen) Gemeinschaft traf und sich mit ihm ernsthaft unterhielt oder sich auch selbst, ohne fremde Hilfe, auf den Glauben an Jesus Christus besann. Jedenfalls fing er an, das Gebet bewusst zu pflegen und seinen Glauben zu bekennen. Und praktisch sofort haben sich alle seine Sorgen in Luft aufgelöst und alle seine Probleme sind verschwunden - keine Schwierigkeit und keine Last begegneten ihm ab diesem Zeitpunkt mehr.
Dann sprach er nur ein kurzes Wort zu seinen Angehörigen, und auch die übrigen Mitglieder seiner Familie wurden sofort bewusst gläubig. Sobald diese dann auch ihrerseits ein kurzes Gebet sprachen, wurden auch sie von allen Hindernissen des Lebens befreit und es stellte sich auch bei ihnen ein praktisch idealer Zustand ein. Der Sohn der Familie konnte so zum Beispiel ein Auto von seinen Eltern geschenkt bekommen, und seine Baseball- oder Basketballmannschaft im College gewann ab da die meisten ihrer Spiele in der betreffenden Studentenliga.
Nun, natürlich besitzt ein jedes echte und aufrichtige Gebet zu Jesus Christus große Wirkkraft. Selbstverständlich vermittelt einem jeden Menschen seine aufrichtige Zuwendung an Gott viel Segen und Kraft. Zweifellos kann ein so genanter felsenfester Glaube nach der Aussage Jesu im Evangelium sogar Berge versetzen und auch sonst viele Probleme lösen. Allerdings erschien jene im Film präsentierte Wirkung des Gebetes doch als ziemlich banal und naiv, wenn nicht sogar als richtig primitiv dargestellt. Nach dem viel zu einfachen Motto halt: nur einige wenige Worte des Gebetes gesprochen und man werde praktisch sofort aller Sorgen und Probleme im Leben weitestgehend enthoben und in einen quasi paradiesischen Idealzustand des Daseins versetzt!
Was in diesem Film ausgeblendet wurde, ist, dass auch das Kreuz generell zum Leben eines Menschen gehört und in ihm nach dem unergründlichen Plan Gottes wohl ebenfalls eine wichtige Rolle spielt. Das widerspricht dann keinesfalls der Tatsache, dass der Herrgott auf unser Beten wartet und auch unser Gebet erhört - wenn auch oft, wenn nicht sogar meistens, auf eine Weise, die unserer eigenen verengten Vorstellung bzw. der allzu irdisch-menschlichen Sicht der Dinge widerspricht und ihr bisweilen sogar diametral entgegensteht. Es ist der für uns, Menschen, unbegreifliche Ratschluss der Vorsehung Gottes, der einem jedem zu jeder Zeit gerade das zukommen lässt, was uns aus Seiner Sicht wohl am besten zu unserem Nutzen dient - manchmal eine Freude, manchmal ein Trost und manchmal eben auch ein Kreuz!
Man muss sich eben frei machen von der allzu irdischen Vorstellung, das Kreuz sei praktisch immer und fast schon automatisch ein Zeichen der Bestrafung Gottes. Ich kenne einen Fall, in welchem ein Mann im Krankenhaus lag und Besuch von seinem jüngeren Bruder erhielt. Dieser schien ziemlich eifersüchtig gewesen zu sein auf bestimmte lobenswerte Leistungen seines älteren Bruders und versuchte, sich selbst vor anderen immer als besser, cleverer und frommer darzustellen. So sprach er auch im Krankenhaus seinen älteren Bruder direkt auf dessen Krankheit an und meinte unverblümt, dieser solle doch bitte gleich zugeben, dass er einen nennenswerten Fehler begangen bzw. schwer gesündigt habe. Denn sonst wäre er ja wohl kaum von Gott mit der betreffenden Krankheit geschlagen und somit zum Zeichen seiner Schuld bestraft worden. Und völlig richtig wandte dann im Gespräch mit mir die Ehefrau jenes älteren Bruders ein, die mir von dieser Begebenheit im Krankenhaus erzählt hatte, wie viel hätten doch gerade die Heiligen zu leiden gehabt in ihrem Leben! Wenn es nach der Logik ihres Schwagers ginge, müsste dies ja ebenfalls als ein Zeichen dafür interpretiert werden, dass sie von Gott verworfen worden bzw. von Seiner Liebe getrennt seien. Die tiefe christliche Wahrheit ist ja aber, dass die Heiligen aufgrund der ihre Wege kreuzenden Hindernisse und teilweise sogar allerschwersten Prüfungen in der Echtheit ihrer Zuwendung an Gott geprüft und dadurch auch wie Gold im Feuer geläutert und gereinigt werden sollten bzw. dies auch sind! Auf diese Weise haben sich sowohl ihr unerschütterlicher Glaube als auch ihre lebendige Hoffnung und die aufrichtige Liebe zu Gott bewährt und als echt erwiesen! Und welch eine zutiefst beseligende Vertiefung ihrer Gottesbeziehung bedeutete dies alles dann für sie!
Die Vorstellung, dass der gottgesandte Messias überhaupt leiden und dann noch am Kreuz den qualvollen Tod sterben würde, hat in Seiner Leidenswoche auch Seine Apostel gewaltig irritiert bzw. bei ihnen so machen Akt des Unglaubens hervorgerufen. So sind z.B. sowohl die Jünger bei der Festnahme Jesu im Garten Gethsemani geflohen, als auch hat Judas Jesus für 30 Silberlinge verraten und Petrus Jesus sogar dreimal verleugnet. Zuvor waren sie noch von der Hoffnung erfüllt gewesen, Jesus werde schon noch mit Macht und Herrlichkeit auftreten und sich als großer Herrscher erweisen. Als es aber dazu kam, dass Er festgenommen und vom Hohen Rat zu Tode gebracht werden sollte, stürzten alle ihre entsprechenden Erwartungen an den Messias ein.
Denn sie waren zu diesem Zeitpunkt noch alle ziemlich stark geprägt gewesen von der im Alten Testament vorherrschenden Meinung, dass nämlich Gesundheit, Wohlstand, Wohlergehen Zeichen und Beweise des Segens Gottes seien, wobei Krankheit, Armut, Ablehnung und Leiden dagegen darauf deuteten, dass die davon betroffenen Personen großes Unrecht vor Gott getan hätten und daher von Ihm dafür gerechterweise mit allen diesen Plagen bestraft worden seien. So musste sich ja auch und gerade Jesus am Kreuz den ganzen Spott der Leute anhören, der ja auf derselben “Grundüberzeugung” der jüdischen wie auch heidnischen Welt gründete, dass nämlich kein Gerechter von Gott mit Schmerz und Leid belegt werden könne!
■ Dagegen hat Jesus durch Sein zu unserem Heil und zur Sühne unserer Sünden auf sich genommenes stellvertretendes Leiden und Sterben das Kreuz als solches von seinen negativen “Stigmata” und dem ihm von uns generell und allgemein angedichteten so genannten “Fluch” befreit und ihm statt dessen eine solche sühnende Kraft eingeflößt, dass - v.a. ein unschuldig leidender - Mensch ebenfalls (auf eine für uns, Menschen, zugedachte Weise) zur Sühne der Sünden bzw. zur Wiedergutmachung des von ihm oder auch von anderen begangenen Unrechts beitragen kann, wenn er sich bei seinem Kreuztragen mit dem leidenden Heiland Jesus Christus vereinigt und Ihm hingebungsvoll seine betreffenden Lebenskreuze aufopfert!
Bezeichnenderweise hat Jesus Seinen Aposteln und Jüngern für deren Zukunft alles andere als eine problem- und sorgenlose Zeit angekündigt, eine sog. “dolce vita”! “Seht, Ich sende euch wie Schafe mitten unter Wölfe. ... Sie werden euch den Gerichten ausliefern und in ihren Synagogen euch geißeln. Ja, um meinetwillen werdet ihr vor Statthalter und Könige geschleppt werden, um Zeugnis abzulegen vor ihnen und vor den Heiden. ... Der Bruder wird den Bruder, der Vater wird den Sohn dem Tod überliefern. Kinder werden sich gegen die Eltern auflehnen und sie in den Tod bringen. Um Meines Namens willen werdet ihr von allen gehasst werden. ... Der Jünger steht nicht über dem Meister und der Knecht nicht über seinem Herrn. Der Jünger muss zufrieden sein, wenn es ihm geht wie seinem Meister, und der Knecht, wenn es ihm geht wie seinem Herrn. Hat man den Hausherrn Beelzebub geschmäht, um wie viel mehr seine Hausgenossen.” (Mt 10,16.17f.21f.24f.)
Diese ganzen Widrigkeiten sollen wohl auch in unserem Fall nach dem unergründlichen Ratschluss der göttlichen Vorsehung dazu dienen zu prüfen, ob wir uns auch und vor allem auch dann nicht von der unerschütterlichen Treue zu Gott und Seinen Satzungen abbringen lassen, wenn uns irgendein größeres Kreuz oder Übel widerfährt. Mag dann deswegen vielleicht sogar die ganze Welt annehmen (in ihrem fundamentalen Irrtum), wir wären gerade wegen dieser uns hart treffenden Prüfungen im Unrecht und würden eben von Gott geschlagen und bestraft werden. Oder stehen wir nur solange zu Gott und Seinen heiligen Geboten, wie es uns gut geht, wie wir keine Not leiden und vielleicht gerade wegen unserer Glaubenshaltung keinen böswilligen Anfeindungen seitens anderer ausgesetzt werden?
Ist unser Glaube an Ihn wirklich so stark, dass wir ihn sogar unter den schwierigsten Umständen, wenn uns nämlich Kreuz und Leid vielleicht sogar ganz hart treffen oder die ganze Welt sich sozusagen gegen uns verschworen haben sollte, nicht aufweichen und das Vertrauen auf Ihn nicht durch den geringsten Zweifel erschüttern lassen? Lassen wir bitte auch dann nicht unsere lebendige Hoffnung auf Ihn und Seine gerechten Gerichte sinken, wenn alles um uns herum uns vielleicht suggerieren sollte, unser Gottvertrauen doch lieber gleich aufzugeben und sich eben nicht bei den Menschen lächerlich zu machen? Erweist sich unsere Liebe zu Gott in der Tat als so echt und tief, dass sie in und von uns weder durch “Trübsal oder Bedrängnis oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert” in Frage gestellt werde und wir somit “von der Liebe Christi” getrennt würden? (Vgl. Röm 8,35.)
Jedenfalls hat Jesus deutlich genug den betreffenden Bereich Seines Jüngertums abgegrenzt bzw. das entsprechende Programm fürs Christsein vorgegeben: “Wer Mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich, und so folge er Mir”! (Lk 9,23); “Wer nicht sein Kreuz trägt und Mir nachfolgt, kann nicht Mein Jünger sein” (Lk 14,27). Somit erscheint hier bei Jesus und Seinem Evangelium das für uns von Gott in Seiner Vorsehung und Weisheit zugelassene Kreuz und Leid in einem ganz anderen Licht als in jenem eingangs erwähnten Film!
Selbstverständlich kann und darf das eine oder andere für uns zugelassene Kreuz oder Leid von uns selbst bisweilen auch als eine Art der Bestrafung für unsere eigenen zuvor begangenen sittlichen Vergehen aufgefasst werden. Vielleicht sollten wir dadurch vom lieben Gott eben gewarnt werden, um baldmöglichst wieder auf den rechten Weg zurückzukehren. Ziehen wir dann also die entsprechenden heilsamen Konsequenzen daraus.
Allerdings wäre es höchst bedenklich, sollten wir uns anmaßen wollen, in dem einen oder anderen Leid, welches unseren Mitmenschen widerfährt, eindeutig und zweifellos eine Strafe Gottes für sie zu erkennen. Woher wollten wir denn dies wissen, da wir doch im Unterschied zum allwissenden Gott nur einen winzigen Bereich der Realität wahrnehmen (können) und somit vergleichsweise verschwindend wenig wissen? Auch wenn manches bisweilen vielleicht sogar sehr stark den Eindruck einer Strafe Gottes am Nächsten vermitteln sollte, achten wir lieber darauf, dass wir uns nicht im Stolz über unsere Mitmenschen erheben und dann in unserem eigenen Leben vielleicht sogar noch schlimmere Verfehlungen zulassen! Ermahnen wir uns statt dessen stärker, für diese Mitmenschen zu beten, damit sie in jedem Fall die Kraft und den Mut aufbringen (können), ihrem Irrtum abzuschwören und auf den christlichen Tugendpfad zurückzukehren.
Was also uns angeht, so kann man da schon einige Überlegungen nach dem Sinn unseres Kreuztragens anstellen. Hat uns denn nicht schon einmal eine etwas ernsthaftere Erkrankung zum ernsthafteren Nachdenken über die Vergänglichkeit des irdischen Daseins und somit auch über den tieferen Sinn unseres Leben veranlasst? Und sind wir denn nicht bisweilen auch durch so manche Widerwärtigkeit oder auch eine äußere nennenswerte Niederlage, die uns einen beachtlichen oder sogar ziemlich schmerzhaften Strich durch die eigene Rechnung gemacht hatte, an der Nase gepackt und in der Folge entweder zur intensiveren Besinnung auf das Wesentliche und zur Aufgabe des übertriebenen Strebens nach irdischen Gütern geführt worden? Nahm dann in der Folge nicht auch unsere persönliche Demut zu oder die Bescheidenheit der Selbstansicht oder die Gelassenheit bei Widerwärtigkeiten oder die vertrauensvolle Ergebenheit in den Willen Gottes?
Somit müssen wir feststellen, dass aus den von uns erlebten Widerwärtigkeiten auch so manche tieferen und heilsamen Erkenntnisse im Hinblick auf den Sinn und die Notwendigkeit unseres konsequenten Strebens nach positiven Tugenden erwachsen sind. Bisweilen müssen wir, wenn wir ehrlich sind, ja zugeben, dass so manche Verluste, Zurückstellungen, Demütigungen und Enttäuschungen trotz aller ihrer negativen Erscheinungsformen durchaus auch einen positiven Effekt auf unsere ganzheitliche Haltung hatten.
Hat uns nicht auch so mancher andere Lebensumstand, welchen wir durchwegs als einen Nachteil anzusehen pflegen - ob es sich hierbei nun z.B. um eine schwächere Einkommenssituation, um irgendein mangelndes Talent oder um eine niedrigere soziale Position o.ä. handeln sollte -, bereits vor einem etwaigen größeren Übel oder vor manchen belastenden, schädlichen und von zentralen Werten ablenkenden Sorgen bewahrt, welchen wir höchstwahrscheinlich zum Opfer gefallen wären, würden wir reich, einflussreich, medien- und öffentlichkeitsgewandt sein?
Wir sollen bitte nicht unsererseits um irgendwelche Kreuze und Prüfungen bitten - diese ereilen uns in Entsprechung zur Zulassung Gottes schon von selbst genügend. Zumal wir ja auch nicht wissen, ob wir in allen diesen Prüfungen werden bestehen können. Aber fassen wir die Lebenskreuze und Widerwärtigkeiten des Daseins auf Erden, mit denen wir es bereits zu tun haben sollten, als eine Art Heimsuchung Gottes auf, wodurch wir in der Echtheit und Reinheit unseres Glaubens und unserer Sitten geprüft werden sollen. Denn wenn wir uns auch unter erschwerten Umständen bewähren sollten, sind wir auf dem richtigen Weg der Gotteskindschaft. Denn wer nicht nur in sog. guten Tagen zu Gott steht, sondern auch in sog. schlechten Tagen nicht von Ihm und Seiner Wahrheit ablässt, ist ein treuer Diener und wird mit einem entsprechend höheren Maß an Gnade und Liebe Gottes beschenkt! Da ist uns neben anderen Heiligen vor allem die hl. Jungfrau Maria ein leuchtendes Beispiel, die ihrem göttlichen Sohn ja bekannterweise bis unter das Kreuz und darüber hinaus unerschütterlich die Treue gehalten hat!
■ Und auch in der heutigen Krise der Kirche wollen wir nicht nur jammern und klagen, sondern unser Augenmerk verstärkt darauf richten, dass die betreffenden traurigen Zustände für uns womöglich auch eine Art Prüfung darstellen könnten. Sind wir letztendlich nur deswegen katholisch, weil wir neben allen Wahrheitsfragen auch eine nennenswerte menschliche Gemeinschaft hinter unserem Rücken haben und offizielle Pfarrkirchen, Dome und Kathedralen unser eigen nennen dürfen? Oder ist unser Glaube tatsächlich so stark und fest, dass wir von der Wahrheit der überlieferten katholischen Lehre auch dann nicht ablassen, wenn uns diese Treue zum Verlust der Geborgenheit in einer größeren menschlichen Gemeinschaft oder/und zur Aufgabe der Nutzung von Kirchengebäuden führen sollte?
Sind wir bereit, notfalls auch in die Einsamkeit und in einer bestimmten Hinsicht vielleicht sogar in die weitestgehende Isolation zu gehen, um den Glauben rein und unvermischt bewahren zu können und von keiner verkehrten Anhänglichkeit an irgendeine falsche “kirchliche Autorität” beflecken zu lassen? Wie viele sind denn nicht schon - oft gegen das eigene bessere Wissen und somit gegen das eigene Gewissen - so manche faule Kompromisse eingegangen, um doch noch irgendwie den sog. Anschluss an die modernistische “Konzilskirche” und die postkonziliaren “Autoritäten” zu halten. Und was war dann meistens das Ergebnis? Zwar hat man dadurch das Verbleiben in einer größeren menschlichen Gemeinschaft erhalten, aber die eigentliche Gemeinschaft mit der wahren Kirche Jesu Christi dagegen verloren!
Offensichtlich werden wir durch die heutige Kirchenkrise veranlasst, eine Entscheidung zu treffen, was für uns letztendlich einen höheren bzw. den höchsten Wert hat, was von uns primär und vor allem anderen erstrebt, erhalten und bewahrt werden soll. Daran entscheidet sich, was man eigentlich will! Und dem ist, wenn man tiefer schaut, durchaus auch viel Positives abzugewinnen.
Mein Weihevater, Bischof Dr. Günther Storck, hat einmal interessanterweise bemerkt, dass sich im Laufe der Zeit in der katholischen Kirche in bestimmter Hinsicht so manche Ballaststoffe angesammelt haben, die das Schiff der Kirche im Meer dieser Geschichte belastet und erschwert und es somit in seinem Gang nennenswert gebremst und behindern haben. Und bei der gegenwärtigen kirchlichen Krise kommt nun höchst sichtbar an die Oberfläche bzw. tritt überdeutlich zu Tage, wie gefährlich, verderblich und zerstörisch diese falschen Werte sind, auf die seitens vieler Katholiken (und auch von uns selbst?) nicht selten gesetzt worden ist bzw. weiterhin gesetzt wird.
In dem einen Fall kann dies die verkehrte Anhänglichkeit an kirchliche Ehren und Titel sein. In einem anderen Fall ist dies die Sorge um den eigenen Ruf als “weltgewand”, “modern” und “tolerant”. Der dritte möchte sein Einkommen aufgrund der Kirchensteuer oder den Anspruch auf eine spätere Pension nicht verlieren. Dem vierten behagt es nicht, dass er der hl. Messe nicht in einer schönen Kirche oder wenigstens in einer separaten und eigentlichen Kapelle beiwohnen solle. Der fünfte wird von puren Emotionen geleitet und verzichtet somit auf die Leistung der gesunden Logik und des menschlichen Intellekts. Die Zahl der Ausreden, nur um einem unbequemen Kreuz zu entkommen, ist fast so hoch wie es Menschen auf dieser Erde gibt.
Der Gedanke, Gott wollte womöglich auch durch die menschlich wohl kaum zu begreifende Zulassung der heutigen gewaltigen und in mancherlei Hinsicht schon als endzeitlich erscheinenden Kirchenkrise erreichen, dass wir alle wieder lernen, uns unbedingt auf das Wesentliche im katholischen Glauben bzw. auf dessen zentrale Prinzipien zu besinnen und eben jene erwähnten oder auch ähnliche verkehrte Verhaltensweisen und falsche Rücksichten auf die Mitmenschen über Bord zu werfen, erscheint nicht so ohne weiteres als abwegig und unbegründet. Vielleicht enthält die heutige Verfolgung des katholischen Glaubens und der überlieferten apostolischen Liturgie durch die “konzilskirchlichen Autoritäten” ebenfalls eine reinigende und somit heilende Wirkung!? Beten wir füreinander, dass wir da ebenfalls treu bleiben.
Wenn wir aber generell die Widerwärtigkeiten des Alltags und auch die sonstigen schweren Prüfungen, denen man bisweilen oder auch öfter im Leben ausgesetzt wird, sowohl im Geiste der Buße als auch in der Gesinnung der Wiedergutmachung als auch in der Absicht annehmen, dadurch die Echtheit unserer Glaubensgesinnung vor Gott und die Aufrichtigkeit unserer Treue zu Ihm bewähren zu lassen, werden wir in der Folge nicht nur einen sog. “Quantensprung” in Bezug auf die beseligende Vertiefung unserer Glaubens- und Gottesbeziehung erfahren, sondern auch mit einem solchen Maß an Gnade und Selbstmitteilung Gottes an unsere Seele beschenkt, das nur den Jüngern Jesu gewährt wird, die sich unter allen Umständen und ungeachtet aller Widrigkeiten als treu erweisen. So führt ja der hl. Apostel Paulus diesbezüglich auch sehr schön aus: “Was kein Auge geschaut, kein Ohr gehört hat, was kein Menschenherz sich je gedacht, das hat Gott denen bereitet, die Ihn lieben” (1 Kor 2,9)!
Eine sich im Lauf der Jahrhunderte immer wieder bewahrheitende Wahrheit ist im folgenden katholischen Spruch festgehalten: “Per crucem ad lucem!” - “Durch das Kreuz zum Licht!” So mögen auch wir unsere Kreuze und Leiden so annehmen, wie sie uns geschickt bzw. vom Herrgott zugelassen werden. Denn Er hat ja - im Unterschied zu uns, den kurz-sichtigen Menschen, - den Überblick über das Ganze des Geschehens, weswegen wir als Seine Kinder dann auch vertrauen dürfen, dass auch die schlimmste Prüfung und auch das schwerste Kreuz sowohl eine bestimmte Bedeutung für uns als auch einen tieferen Sinn für unser Leben hat.
Ferner werden uns alle diese Entbehrungen und Kreuze, sofern wir sie letzten Endes nicht unwillig oder innerlich rebellierend annehmen, auch eine solche vertiefte und vergeistigte Sicht auf die Realitäten erlauben, wie man sie sonst vielleicht niemals erlangen würde. Diese Erkenntnisse, die unserer beständigen tätigen Treue zum leidenden und am Kreuz sterbenden Christus entwachsen, werden das geistige Niveau unser Gottesbeziehung auf eine solche Stufe heben, dass wir voll Dankbarkeit über die unbegreiflichen Wege der Vorsehung Gottes die folgenden wunderbaren Gebetsworte der Muttergottes sowohl wenigstens einigermaßen verstehen als auch mit der für uns möglichen Inbrunst unserer Seele wiederholen werden: “Hoch preist meine Seele den Herrn und mein Geist frohlockt in Gott, meinem Heiland” (Lk 1,46f.)!

P. Eugen Rissling

 

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